Im Internet finden sich viele widersprüchliche Darstellungen, welche Rolle Magensäure beim Reflux einnimmt. Teils heißt es, zu viel Magensäure verursache Reflux. Dann heißt es in anderen Artikeln dagegen, zu wenig Magensäure sei das Problem.
Was stimmt nun?
Zunächst einmal: Meiner Erfahrung nach haben Personen, welche sich für die Wahrhaftigkeit einer der Aussagen stark machen, eine Agenda im Kopf, welche sie bewerben wollen.
Zu viel Säure? Gutes Argument zum Verkauf von Medikamenten
Die Argumentation, dass zu viel Säure Reflux verursacht, wird oft von Herstellern von säurereduzierenden Medikamenten vorgebracht. Denn wenn zu viel Säure die ausschließliche Ursache von Reflux wäre, dann würden die säurereduzierenden Medikamente natürlich wie die Faust aufs Auge passen.
Säure ist definitiv reizend und ein wichtiger Faktor, warum Reflux Reizungen und Schmerzen auslöst. Das gilt insbesondere für Speiseröhrenreflux, weswegen Sodbrennen auch gut auf diese Medikamente anspricht.1 Jedoch ist zu viel Säure im Reflux nicht das eigentliche Problem, sondern dass Reflux überhaupt erst auftritt. Mehr dazu weiter unten.
Säuremangel? Gutes Argument zum Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln
Dann gibt es noch das gegensätzliche Argument, dass zu wenig Magensäure Reflux verursachen würde. Diese Ansicht wird insbesondere in populistischen (Online-)medien oft heruntergebetet, sowie in Internetforen.
Meinen Recherchen nach geht dieser Mythos in erster Linie auf eher beiläufige Erwähnung in Büchern zur Naturheilkunde zurück (ohne wissenschaftlich fundiert zu sein). Diese Aussagen wurden dann aus dem Zusammenhang gerissen, aufgebauscht und dann als Argument für den Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln verwendet. Diese Nahrungsergänzungsmittel sollen entweder die Säureproduktion und die Produktion verdauungsfördernder Magenenzyme steigern, oder die Säure und Magenenzyme selbst werden direkt zugeführt. Beispielweise durch das Schlucken von Essig (schlechte Idee), oder in Kapselform. Das hat dann eine Welle losgetreten, in der dieser Mythos online immer wieder in Artikeln wiederholt wird, was ihn glaubwürdiger erscheinen lässt, als er ist.
Wenig Magensäure könnte ein Faktor für Reflux sein, aber nicht der Hauptfaktor
Das heißt nicht, dass zu wenig Magensäure nicht ein Problem sein kann. Vor allem ältere Menschen sind davon betroffen, da die Magensäureproduktion im Alter nachlässt.2 Auch Autoimmunkrankheiten können die säureproduzierenden Zellen im Magen schädigen und dadurch einen Mangel an Magensäure verursachen.2 Da Säure wichtig für den Verdauungsprozess ist, kann ein Mangel durchaus Reflux begünstigen.
Ein Mangel an Magensäure als Ursache für Reflux wird allerdings viel zu sehr aufgebauscht. Oftmals wird es so dargestellt, als ob zu wenig Magensäure der häufigste Grund für Reflux sei. Die Realität sieht eher so aus, dass es sich um einen Faktor handeln könnte, aber sicher nicht um den Hauptfaktor.
Wäre zu wenig Magensäure eine so häufige Refluxursache, dann würde sich dies in wissenschaftlichen Studien gut nachweisen lassen. Schließlich untersuchen viele Studien zu Reflux, welcher pH-Wert im Magen und in der Speiseröhre von Probanden vorherrscht. Die Daten sind also da. Mir ist nicht bekannt, dass dort regelmäßig die Beobachtung gemacht wird, dass Menschen mit Reflux auffallend wenig Magensäure haben.
Zur Klarstellung muss ich an der Stelle erwähnen, dass es natürlich aus anderem Grund einen glasklaren Zusammenhang zwischen wenig Säure und Reflux gibt: Viele Menschen mit Reflux nehmen säurereduzierende Medikamente ein, insbesondere Protonenpumpenhemmer. In dem Fall haben die Personen natürlich einen Magensäuremangel (mit voller Absicht), was Nebenwirkungen, wie schlechte Nährstoffaufnahme und andere Magendarmprobleme verursachen kann.3
Reflux geht in erster Linie auf funktionelle Störungen zurück
Tatsächlich kann Säure zwar Schaden anrichten, stellt aber nicht die Ursache von Reflux dar.
Die Ursache für Reflux ist primär an einer anderen Stelle zu suchen. Reflux geht bei den meisten Menschen auf funktionelle Störungen zurück. Entweder ist das Ventil zwischen Magen und Speiseröhre zu schwach, oder die Entleerung des Magens ist gestört (Gastroparese).4 Diese anatomischen Besonderheiten beeinflussen, wie anfällig eine Person für Reflux ist. Darüber hinaus kommt es auf die persönliche Verhaltens- und Ernährungsweise an, wie oft und wie stark der entstehende Reflux ist.5
Vereinfacht dargestellt: Wer beispielsweise ein schwaches unteres Speiseröhrenventil hat und gleichzeitig zu große Mahlzeiten isst, bekommt mit hoher Wahrscheinlichkeit Reflux. Aber auch Menschen, die sich bereits gesund ernähren, können Reflux bekommen. Letztendlich trifft beim Reflux aber immer eine Veranlagung auf einen akuten Auslöser. Ob nun viel oder wenig Säure im Magen ist, kann den Reflux lediglich im Detail und in der Zusammensetzung beeinflussen.
Die Säure ändert also nichts daran, ob eine grundlegende Neigung zu Reflux besteht, oder nicht. Sie hat lediglich einen Einfluss darauf, wie reizend der entstehende Reflux ist. Säure ist jedoch nicht der einzige reizende Bestandteil von Reflux. Denn mit dem Reflux gelangen auch Galle und das Magenenzym Pepsin in die Speiseröhre. Insofern ist Reflux auch unabhängig vom Säuregehalt schädlich.6,7 Aus diesem Grund sollte eine Refluxbehandlung immer das Ziel haben, den Reflux selbst zu reduzieren, anstatt nur die Säure zu beeinflussen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Säurebei Reflux durchaus relevant ist,aber oft von den wichtigeren Einflussfaktoren ablenkt.
Was wirklich hilft, ist oft schwierig zu beurteilen
Ich sehe die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, welche Säure und Verdauungsenzyme enthalten (insbesondere Pepsin), skeptisch. Meiner Erfahrung nach werden die Symptome dadurch eher schlimmer. Das ist auch nicht überraschend, denn der Reflux ist nach wie vor da. Zudem enthalten die Nahrungsergänzungsmittel reizende Faktoren, die die Symptome verstärken können. Diese landen auch im Reflux und können dadurch außerhalb des Magens Schaden anrichten. Dies gilt neben Säure auch für das Magenenzym Pepsin, wenn es statt den Mageninhalt Zellen außerhalb des Magens „verdaut“.8
Ich habe zwar hin und wieder von meinen Lesern Feedback bekommen, dass ihnen bestimmte Nahrungsergänzungsmittel, welche die Magensäure und Verdauungsenyzme beinflussen, helfen. Insofern will ich nicht ausschließen, dass sie in konkreten Fällen sinnvoll sein können. Weitaus öfter bekomme ich aber die Rückmeldung, dass die Einnahme entweder keinen Unterschied gemacht hat oder die Symptome verschlimmert hat. Insofern macht eine pauschale Einnahme keinen Sinn. Das hat eher etwas mit Glückspiel zu tun, als mit einer fokussierten Behandlung.
Es ist generell sehr schwierig, rein auf Feedback, oder der subjektiven Einzelerfahrung basierend, die Effektivität von Medikamenten zu beurteilen. Das gleiche gilt für Nahrungsergänzungsmittel. Deswegen gibt es wissenschaftliche Studien, die die Wirkung untersuchen. Das Thema ist bei Reflux besonders relevant. Denn viele Personen mit Reflux sprechen gut auf Placebos an. Das heißt, für die meisten Menschen macht es keinen Unterschied, ob sie eine Zuckerpille oder ein echtes Medikament einnehmen der Reflux wird in beiden Fällen oft besser. Ich vermute das liegt daran, dass Menschen mehr darauf achten, was, wann und wieviel sie essen, nachdem sie mit Reflux diagnostiziert wurden und eine medikamentöse Behandlung beginnen.
Insofern ist immer die Frage, wenn man ein positives Feedback zu einem Nahrungsergänzungsmittel hört, ob es denn wirklich das Mittelchen, oder einfach die bessere Ernährung war, die den Unterschied gemacht hat. Der Schluss liegt nahe, dass es eher die Ernährung war.
Fazit: Viel Gerede um zu wenig Magensäure, wenige Fakten
Wenn du dir aus diesem Artikel eines mitnimmst, dann ist es Folgendes: Reflux hat komplexe Ursachen. Jedoch lässt sich mit einer angepassten Ernährung viel erreichen.
In Bezug auf zu wenig Magensäure als Hauptursache für Reflux: Es ist unwahrscheinlich, dass ausgerechnet du eine der wenigen Personen bist, die wirklich viel zu wenig Magensäure hat. Es sei denn, du nimmst magensäurereduzierende Medikamente ein.
Selbst wenn du wenig Magensäure hast, spielt dies vermutlich (wenn überhaupt) nur eine kleine Rolle bei deinem Reflux. Die Haupttreiber des Mythos, zu wenig Säure sei die Hauptursache für Reflux, zielen darauf ab, Nahrungsergänzungsmittel verkaufen zu wollen.
Das heißt nicht, dass ich nicht befürworte, auszuprobieren, was einem hilft. Ich bin aber kein Fan von den übermäßigen Versprechungen und Hype, der im Internet um das Thema „zu wenig Magensäure“ gemacht wird. Ich sehe schlicht und ergreifend aus Lesermails, dass sehr wenige Leute positive Resultate sehen, was mich in Hinsicht der wenig vielversprechenden wissenschaftlichen Faktenlage und Expertenmeinungen auch nicht wundert.
Klicke folgenden Link für mehr Informationen von mir zur Behandlung von Reflux.
Quellen
1. Hrelja N, Zerem E. Proton pump inhibitors in the management of gastroesophageal reflux disease. Medicinski arhiv. 2011;65(1):52-55. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21534455. Accessed January 30, 2020.
2. Black DR. Achlorhydria. Southern Medical Journal. 1928;21(11):920-924. doi:10.1097/00007611-192811000-00010
3. Heidelbaugh JJ. Proton pump inhibitors and risk of vitamin and mineral deficiency: evidence and clinical implications. Therapeutic Advances in Drug Safety. 2013;4(3):125-133. doi:10.1177/2042098613482484
4. Hershcovici T, Mashimo H, Fass R. The lower esophageal sphincter. Neurogastroenterology & Motility. 2011;23(9):819-830. doi:10.1111/j.1365-2982.2011.01738.x
5. Festi D, Scaioli E, Baldi F, et al. Body weight, lifestyle, dietary habits and gastroesophageal reflux disease. World Journal of Gastroenterology. 2009;15(14):1690. doi:10.3748/wjg.15.1690
6. TACK J. Review article: the role of bile and pepsin in the pathophysiology and treatment of gastro-oesophageal reflux disease. Alimentary Pharmacology & Therapeutics. 2006;24:10-16. doi:10.1111/j.1365-2036.2006.03040.x
7. Siddiqui A, Rodriguez-Stanley S, Zubaidi S, Miner PB. Esophageal Visceral Sensitivity to Bile Salts in Patients with Functional Heartburn and in Healthy Control Subjects. Digestive Diseases and Sciences. 2005;50(1):81-85. doi:10.1007/s10620-005-1282-0
8. Johnston N, Dettmar PW, Bishwokarma B, Lively MO, Koufman JA. Activity/Stability of Human Pepsin: Implications for Reflux Attributed Laryngeal Disease. The Laryngoscope. 2007;117(6):1036-1039. doi:10.1097/MLG.0b013e31804154c3